Oslo funkelt. So nennen es die Einheimischen, wenn dieses besondere Wasserflimmern über dem tiefblauen Oslofjord liegt. Und zum Oslofjord sagen sie «Perle». Unsere Stadtführerin lacht: «Ja, wir sind sehr verliebt in unsere Stadt, das lässt sich nicht verbergen.» Als sie uns mitnimmt an ihre Lieblingsorte, wird rasch klar, weshalb. Vom Dach des Opernhauses am Hafen geniessen wir den Blick aufs Wasser, beim Flanieren durch die schicke Karl Johans Gate bis zum Schloss die eleganten Geschäfte und Restaurants. Ab morgen heisst es: «Adjø eleganse, hei tursko» – adieu Eleganz, hallo Wanderschuhe.
Zu den Gletschern
Nur eine Busfahrt und rund drei Stunden trennen Norwegens Hauptstadt von der alpinen Berg- und Gletscherwelt im Nationalpark Jotunheimen. Hier treffen die höchsten Bergriesen Norwegens auf langgezogene Fjorde, üppige grüne Bergtäler auf karges Hochgebirge. Und hier befinden sich über 250 Gletscher, der grösste ist Smørstabbreen mit 15 Quadratkilometern.
Schon beim Aussteigen inhalieren wir die klare und würzige Luft, sie füllt die Lungen auf wohltuende Weise. Im beliebten Langlauf- und Skiort Beitostølen, an der Grenze zum Nationalpark, logieren wir für zwei Nächte. Abends schauen wir zum markanten Hausberg Bitihorn mit seinen 1607 Metern hoch – morgen werden wir ihn erklimmen. Ob die Wolken bis dann verschwunden sein werden?
Geheimnisvolles Klackern
Der Wettergott zeigt sich gnädig und schickt lediglich frische Winde über die schneebedeckten Bergspitzen. Zur Sicherheit haben wir eine leichte Mütze im Gepäck, man weiss ja nie. Kaum losgewandert, staunen wir ein erstes Mal über die Aussicht auf den türkis schimmernden Bygdinsee und die Zweitausender, die direkt hinter ihm steil emporragen. Zunächst ist es eher ein Spazierengehen, danach wird der Pfad steiler und felsiger. Psst! Was ist das? Es klingt wie das Klacken von Rentierhufen. Wir bleiben stehen und lauschen, doch ein Tier bekommen wir nicht zu Gesicht.
Nun fordert der steinige Weg unsere Konzentration. Der Atem geht schneller, und trotz Wind geraten wir ins Schwitzen. Oben angekommen, fehlen uns die Worte angesichts des Panoramas. Was für ein Glücksmoment! Es gibt nur den Rundumblick auf die schneebedeckten Berge, wir und das Steinmännchen, das – typisch für Norwegen – den Gipfel markiert, und der Wind, der sein Lied singt.
Beim Abstieg kommen uns einige norwegische Familien entgegen, grüssen gut gelaunt und wünschen «god tur». Wandern ist im Königsreich ein beliebter Volkssport für Klein und Gross: Davon zeugen das riesige Wandernetz und die gut ausgeschilderten Wege.
Weg von der Zivilisation
Keine Spur von Muskelkater am nächsten Tag. Dennoch strecken wir mit Vergnügen auf der MS Bitihorn unsere Beine aus. Seit 1912 gibt es die Bootsfahrt über den Bygdinsee im südlichen Jotunheimengebirge. Wir wähnen uns mindestens eine Tagesreise weg von jeder Zivilisation, als wir von Bygdin nach Eidsbugarden übers Wasser gleiten, den Wind im Haar. Die Gipfel, die wir gestern von oben bewundert haben, sind nun von unten zu sehen – und auch von hier fällt der über 2119 Meter hohe Øystre Torfinnstinden mit seiner vollendeten Form ins Auge. Diese Bootsfahrt hätte ewig dauern können.
Entsprechend ungern wechseln wir in Eidsbugarden auf den Bus. Doch in Årdalstangen, das ebenfalls zum Jotunheimen-Nationalpark gehört, ist alles vergessen: Der Ort liegt am Ende des Sognefjords wie auf einer Brücke, eingebettet zwischen zwei Bergflanken. Gäbe es einen Preis für spektakuläres Wohnen, Årdalstangen würde ihn gewinnen. Am liebsten möchten wir gar nicht mehr weg.
Königin macht sprachlos
Glücklicherweise halten wir uns nicht daran, sonst hätten wir die «Königin» verpasst – und damit einen besonderen Schatz des Landes. Der Weg führt durchs idyllische Utladen-Tal, benannt nach dem Fluss Utla. Wunderbar erholsam ist sein Rauschen und der Blick auf die saftigen Grüntöne der Hänge. Wir passieren vier Wasserfälle, aber das Beste kommt erst noch. Nach dem anstrengenden Wegstück am Schluss – es geht aufwärts – spüren wir die Gischt und hören das Tosen: 275 Meter stürzt der höchste unregulierte Wasserfall Norwegens kraftvoll in die Tiefe. Kein Wunder, ist der Spitzname des Vettifossen «die Königin». Die majestätische Naturkraft lässt uns sprachlos zurück.
Nach zwei Nächten heisst es Abschiednehmen von Årdalstangen: Noch einmal geniessen wir eine Schifffahrt, nun auf dem Nærøyfjord, einem Nebenarm des Sognefjords und Weltnaturerbe der Unesco. Gestern dachten wir noch: Spektakulärer kann es nicht werden. Offensichtlich haben wir uns getäuscht. Senkrecht steigen die Bergwände empor und flankieren das Wasser wie einen geheimnisvollen Schatz.
Panorama im goldenen Licht
In Flåm schnüren wir am nächsten Morgen die Wanderschuhe. Es geht auf den Berg Prest, auf knapp 1500 Meter über Meer. Auf dem Hinweg lässt der norwegische Wettergott ein paar Tropfen fallen, doch rechtzeitig zum Panoramablick taucht die Sonne den Aurlandsfjord in goldenes Licht. Beim Rückweg macht sich Wehmut breit: Denn Prest war unsere letzte Wanderung in dieser archaischen Naturschönheit.
Adjø Wanderschuhe – jetzt werden sie wieder eingepackt. Aufregend bleibt es dennoch: In Flåm wartet der Zug nach Bergen. Knapp drei Stunden lang kleben wir am Fenster und tauchen noch einmal ein in die wilde Natur Norwegens. Es sei die schönste Strecke in Europa, sagt der Zugbegleiter unbescheiden, als er uns in der Hansestadt Bergen an der Westküste verabschiedet. Beim Schlendern durch die Altstadt verlieben wir uns in die bunten Holzhäuser und schmalen Gassen. Und auf dem Aussichtspunkt Fløyen, hoch über der Stadt, in die sieben Berge, die dem historischen Küstenort den Namen gaben. Hätte es einen besseren Schlusspunkt für diese Wanderreise geben können?
Als Sarganserländerin ist Franziska Hidber schon als Kind gewandert, oft in der Nähe des Schweizer Fjords Walensee. Aber als Reporterin des Nordens weiss sie heute: Im Vergleich zur spektakulären Fjordlandschaft Norwegens wirkt er wie eine Miniature.
Gut zu wissen

Wanderungen: Alle drei Wanderungen sind moderat mit kurzen steilen Abschnitten. Voraussetzungen sind eine gute Grundkondition, Trittsicherheit und Wander- oder Trekkingschuhe. Sie können auch individuell unternommen werden.
Ideale Wanderzeit: Ab Mitte Juni bis Ende September. Dann sind die Chancen auf schneefreie Wanderwege am höchsten. Wechselhaftes Wetter mit starkem Wind und heftigem Regen ist auch im Sommer möglich, in höheren Lagen kann es sogar mal schneien. Gleichzeitig sind Temperaturen über 25 Grad keine Seltenheit. In der Nebensaison (Juni und September) sind deutlich weniger Touristen unterwegs als im Juli und im August.
Nationalpark Jotunheimen: Man nennt den 3500 Quadratkilometer grossen Naturpark mitten in Südnorwegen aus gutem Grund «Heimat der Riesen»: Im höchsten Gebirge des Landes sind auch die grössten Berge zu finden. Der Galdhøpiggen ist mit einer Höhe von 2469 Metern gar der Höchste in ganz Skandinavien.
Tipp: In Norwegen wechselt das Wetter rasch. Mit wasserdichten Wanderschuhen und Regenschutz sowie einer dünnen Mütze, Handschuhen (ja, auch im Sommer) und dem Zwiebelschalenprinzip ist man jeder Wetterlage gewachsen.
