Vor einigen Wochen wollte ich mich mit einem Freund verabreden. Der besagte Freund und ich kennen uns schon sehr lange, aber schon länger nicht mehr wirklich gut. Er gehört zu dieser Kategorie Freundinnen und Freunde, die in einem «New York Times»-Artikel «medium friends» genannt werden. Die mittleren halt, nicht die besten. Beim Wandern wollten wir uns füreinander Zeit nehmen, aber trotz frühzeitiger Planung fiel diese Verabredung kurz vorher ins Wasser. Ich war nicht ganz unglücklich (ich sags ja, «medium friends») und machte mich allein auf den Weg.
Raus aus der Stadt und in der Natur verfiel ich schnell in meinen eigenen Rhythmus, Schritt um Schritt um Schritt. Dabei strich mein Blick über die flaumigen Hügel, suchte sich einen Weg durch die Baumkronen und tauchte in die Wolken ein. In die Landschaft eingebettet fühlte ich mich euphorisch und frei und gleichzeitig sehr sicher.
Das liess mich an den bekannten, für die feministische Bewegung wegweisenden Essay «A Room of One’s Own» denken. Wie der Titel andeutet, spricht die englische Autorin Virginia Woolf in ihrem Text von 1929 von der Notwendigkeit eines eigenen Zimmers für die Entfaltung des persönlichen, kreativen Potenzials. Dieser eigene Raum versteht Woolf nicht unbedingt als physisches Zimmer, sondern auch als einen mentalen Freiraum und Rückzugsort. Diesen Raum zu finden oder sogar zu besitzen, ist nicht immer einfach; zum Beispiel, wenn man Sorgearbeit leistet oder auf hochprozentige Lohnarbeit angewiesen ist. Womöglich teilt man sich ausserdem sein Zuhause, vielleicht sogar jedes einzelne Zimmer und das Bett.
Auch wenn ein eigener Raum auf den ersten Blick nicht vorhanden zu sein scheint: Mit dem Wandern kann man sich einen solchen selbst schaffen. Zu diesem Raum gibt es keine Tür, dafür hat er einen Rhythmus, der hilft, zu denken und Gedanken zu spinnen und ganz für sich allein zu sein. Und das kann ich wirklich allen empfehlen.