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Wanderreportagen

Im Bann des Grand Combin

Herausfordernd und landschaftlich eine Extraklasse: So darf sich diese Wanderung im oberen Val de Bagnes VS rühmen. Das Massiv des Grand Combin ist die Konstante. Aber nicht nur.
30.05.2025 • Text: Elsbeth Flüeler, Bilder: Markus Ruff
Am 2. August 1857 wurde der Grand Combin zum ersten Mal bestiegen.

Grosse Berge sind selten allein. Oft haben sie ihre Trabanten, ihre treuen Gefährten, gerade wie die Erde ihren Mond oder der Jupiter seine sieben Monde hat. Der Mont Blanc etwa, der höchste Berg der Alpen, hat seinen Mont Blanc de Tacul; das Matterhorn hat das Klein Matterhorn.

Beim Grand Combin sind es gleich sieben Gipfel, die den Combin im Namen tragen. Da ist im Nordwesten der Petit Combin gefolgt vom Combin de Corbassière und dem Combin de Boveire. Es folgen der Combin du Meitin, der Combin du Valsorey, der Combin de Grafeneire und der Combin de la Tsessette. Letztere bilden zusammen das Massiv des Grand Combin – und alle Combins zusammen die grossartige Kulisse dieser Wanderung.

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Das gewaltige Combin-Massiv lädt zum Innehalten ein.

Gipfelgelüste

Das Massiv des Grand Combin steht den berühmten Alpengipfeln in Nichts nach. Weder in landschaftlicher noch in alpinistischer Hinsicht. Sein höchster Gipfel galt lange Zeit als unbezwingbar. Bis ein Walliser Anfang 1857 eine Prämie für denjenigen aussetzte, der den Gipfel bezwingen würde. Das mochte etliche Bagnards zwar anspornen, aber nicht wirklich überzeugen, die Herausforderung anzunehmen. Bis auf die beiden Gamsjäger, den 24-jährigen Jouvence Bruchez und seinen Onkel Maurice Fellay aus Lourtier. Am 20. Juli 1857, nach einem neunstündigen Aufstieg, standen sie als Erste auf dem Combin du Valsorey.

Die Kunde über den alpinistischen Exploit erschien am 2. August 1857 in der «Gazette du Valais». Sie erreichte auch den Briten William Mathews, der in Riddes weilte, sich auf seine nächsten alpinistischen Exploits vorbereitend. Mathews war kein Unbekannter. Er sollte im gleichen Jahr die Gründung des British Alpine Club, des ersten Alpenclubs weltweit, anstossen. Mathews verlor keine Zeit. Er eilte nach La Châble, wo er Bruchez und Fellay für die damals ungeheuerliche Summe von je 30 Franken als Bergführer anheuerte – und stand am 19. August 1857 als Teil einer zweiten Seilschaft und als dritter Mensch auf dem Gipfel des Grand Combin.

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Die «Gazette du Valais» vom 2. August 1857 meldete die Erstbesteigung des Grand Combin.

Weitwanderungen

Von nun an wurde der Grand Combin über die unterschiedlichsten Routen bestiegen, erst im Sommer, ab 1907 auch im Winter auf Skiern. Doch er bleibt bis heute kein einfacher Berg und kein ungefährlicher dazu. In Zeiten des Klimawandels mit dem Auftauen von Permafrost und dem Schmelzen der Gletscher umso mehr. Im Val de Bagnes, auf der vergletscherten Nordseite, drohen jederzeit Séracs, Gletschertürme, abzubrechen. Im Aufstieg von Südwesten her klettert man im brüchigen Schiefergestein, das auch den Abschluss des Val de Bagnes bildet. Auf dieser Route ist man Steinschlag ausgesetzt. Trotz allem bleibt der Grand Combin ein begehrtes alpinistisches Ziel.

Auf der Weitwanderung «Grand Tour des Combins» wird das Massiv zwar nicht bestiegen, aber dafür in 135,7 Kilometern umrundet. Auch die Haute Route der Wandernden will sich am Grand Combin messen. Dieser herauffordernde Weitwanderweg verläuft auf halber Höhe und führt in gut einem Dutzend Etappen von Chamonix nach Zermatt. Dabei quert er vom Val Ferret und dem Val d’Entremont herkommend das obere Val de Bagnes.

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Im Hintergrund das Mont-Blanc-Massiv.

Die hier vorgestellte Wanderung von der Bergstation Les Ruinettes ob Verbier zum Lac de Louvie ist Teil dieser Haute Route. Man findet sie auch als Wanderroute Nr. 160 bei Wanderland unter dem Namen «Sentier des Chamois», Gamspfad. Die Erwartungen an Ursprünglichkeit, an Wildheit der Wanderung, sind somit gesteckt. Wandernde werden, dies vorweg, nicht enttäuscht.

Auf dem Pfad der Entschleunigung

Doch ganz von vorn. Die Wanderung startet in Verbier, der Alpenstadt. Es ist eine schnelle Welt. Man segelt per Gondel in sie hinein, um sie ebenso schnell und nach Les Ruinettes schwebend hinter sich zu lassen. Obwohl: Auf der ersten Dreiviertelstunde bis zur Alp La Chaux ist man ihr noch ausgeliefert: Masten, Seile, Skipisten überall und Bagger. Das Terrain wird Sommer für Sommer ein bisschen mehr an die Vorstellung eines attraktiven Wintersportgebiets angepasst.

Doch da gibt es auch die Bisse de Levron, die Bisse des Grands Creux und weidende Kühe. Sie erinnern daran, dass hier, bevor der Skitourismus sich breit machte, über Jahrhunderte ausschliesslich Alpwirtschaft betrieben wurde. Übrig geblieben ist das eine grosse Alpgebäude, wo noch heute die Milch zu Käse verarbeitet wird. Im kleinen Laden neben der Molkerei kann man ihn kaufen. Er ergänzt das Picknick vorzüglich.

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Die Bisse de Levron erinnert daran, dass die Alpen ob Verbier früher ganz und gar der Alpwirtschaft gehörten. Im Hintergrund das Mont-Blanc-Massiv.

Üppige Blumenpracht

Wenig später ist die Wanderwelt eine andere. Der Weg wird zur schmalen Spur. Sie windet sich elegant und steil den Berg hinauf. Am Horizont lacht die weisse Gletscherwelt des Grand Combin und rundherum gibt es nichts als alpine Matten mit einer einmalig farbigen Blumenpracht, so weit das Auge reicht.

Da quert man Felder von Weissen Alpen- oder gelben Schwefel-Anemonen. An einigen besonders sonnigen Stellen sind sie bereits verblüht. Dann recken sich die Fruchtstände fedrig in die Luft, bilden verstrubbelte Köpfe. «Wildmanndli» sind es, der Übername trifft es nicht schlecht. Da und dort blüht einsam die Mondraute. Dann wieder gibt es Dutzende der wohlriechenden Kohlröschen, Männertreu. Am Rand von Felsblöcken wachsen wärmeliebender Hauswurz, Alpen-Aster und Alpen-Sonnenröschen. Auch die imposante Straussblütige Glockenblume sieht man da und dort.

Im Untergrund getäuscht

Es sind Pflanzen, die eigentlich auf kalkreichem, basischem Untergrund wachsen. Von Kalkgestein aber ist hier keine Spur! Die Felsen bestehen aus Gneissen und Glimmerschiefern, aus sauren Mineralien, wo sich in der Regel eine ganz andere Flora einstellt.

Doch die Botanik weiss: Feinste Gesteinspartikel vermögen den Boden zu beeinflussen und eine ganz andere Vegetation zu bewirken, als es der Untergrund vorgibt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit macht sich hier darum das erwähnte Schiefergestein bemerkbar, das es nicht nur im Val d’Entremont gibt, sondern auch den Abschluss des Val de Bagnes bildet. Es wurde vor langer Zeit vom Gletscher mitgetragen und als Kalkstaub auf der Talflanke abgelagert und beeinflusst nun seit Jahrtausenden die Vegetation entlang des Sentier des Chamois.

Am Scheideweg

Weil die Vegetation hier gar üppig wächst, nutzten die Bagnards das Gebiet früher als Schaf- und Ziegenweide. Das wiederum kann man alten Karten entnehmen, wo – inzwischen eingestürzte – Alpgebäude eingetragen sind.

Heute fressen nur mehr die Gämsen die saftigen Kräuter. Trägt vielleicht darum dieser Weg den Namen Gamsweg? Oder ist es, weil es hier ganz luftige Passagen gibt? Unter dem Bec Termin, kurz vor dem Col Termin, schlängelt der Weg sich sogar über ein schmales Felsband, wird zum Gamspfad – für uns Menschen.

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Am dem Col Termin schlängelt der Gamspfad unterhalb den Têtes de Louvie dem Berg entlang.

Der Col Termin dann ist der höchste Punkt der Wanderung. Hier verabschieden sich alle, die der Haute Route folgen. Ihr Ziel ist die Cabane de Prafleuri. Unsere Wanderung hingegen verweilt noch einige Zeit auf der Westseite der Tête de Louvie, bevor sie einen Übergang findet und steil zum Lac de Louvie absteigt. Wie eine azurblaue Perle liegt der See in einer Mulde, umgeben von Bergen, mit Blick auf den eisigen Grand Combin und lädt zum Bade.

«Wie eine azurblaue Perle liegt der See in einer Mulde, umgeben von Bergen, mit Blick auf die eisigen Combin-Gipfel und lädt zum Bade.»

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Am Lac de Louvie mit Blick auf den Combin de Corbassière und den Petit Combin.

Am Lac de Louvie wiederum trifft man auf alle jene, die auf dem Alpenpässeweg und ihrer 29. von 43 Etappen unterwegs sind. Für diese Wanderung aber heisst es, vom Grand Combin Abschied zu nehmen. Die Höhenmeter, die man mit der Bahn nach Les Ruinettes gewonnen hat, steigt der Weg steil und in zahlreichen Kehren hinunter nach Fionnay, während der Grand Combin, je tiefer man ins Tal steigt und je enger das Tal wird, hinter den gegenüberliegenden Bergen versinkt. Zurück aber bleibt die schöne Erinnerung an die erhabene weisse Gletscherwelt.

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Tipp

Am Kopf des Lac de Louvie stehen drei Alpgebäude. «Îtres» nennen die Bagnard sie im Dialekt. Mindestens 500 Îtres gab es einmal im Val de Bagnes. Um die 30 dieser Anlagen, wie hier am Lac de Louvie, wurden in den 1970er-Jahren restauriert. Auf Louvie handelt es sich um einen Stall mit Rundgewölbe sowie je einem Gebäude, wo die Milch zu Käse verarbeitet wurde und die Hirten und Sennen schliefen, und einem Gebäude, wo der Käse aufbewahrt wurde. Eine Besichtigung lohnt sich.


Im Antlitz des Grand Combin
Les Ruinettes — Fionnay • VS

Im Antlitz des Grand Combin

Der Grand Combin ist nicht nur ein Berg, er ist ein Gebirgsmassiv und bildet die Brücke zwischen dem Massiv des Mont Blanc und den grossen 4000ern des Oberwallis. Ihm ist diese Wanderung gewidmet. Sie führt ab Verbier ins hintere Val de Bagnes. Der grandiose Blick auf den Grand Combin bildet dabei die Konstante. Die Wanderung startet bei der Bergstation Les Ruinettes, die man mit der Gondel ab der Station Médran, Verbier erreicht. Sie führt zunächst zur Alp La Chaux mit ihrer Bisse de Levron, der Suone. Es ist eine schöne, ausladende Alp. Der Wintersport aber hat mit Pisten und Bahnen seinen landschaftlichen Tribut gefordert. Auf einem Felssporn, 300 Höhenmeter über dem Weg, hockt die Cabane du Mont Fort CAS. Sie ist ein idealer Ausgangspunkt für alle, denen die Anreise zu lang und eine Nacht in den Bergen lieb ist. Kurz nach den Alpgebäuden wird der Weg zum Pfad. Er führt über die westexponierte Ostflanke des Bec des Rosses und des Bec Termin. Ab nun ist Genuss pur angesagt. Man wandert über alpine Matten. Die Blumen blühen im Juli und August in allen Farben. Aufmerksamkeit erfordert aber auch der Weg. Er verläuft in steilem Gelände. Im Frühsommer kann es noch Schneefelder geben. Dann ist besondere Vorsicht angesagt. Beim Col Termin verzweigt sich der Weg. Diese Wanderung bleibt noch eine Weile auf der Westflanke und steigt dann zum Lac de Louvie ab. Ein Rundgang, vorbei an den îtres, den für das Val de Bagnes typischen historischen Alpgebäuden, lohnt sich. Ebenso wie die Rast in der Cabane de Louvie am Ende des Sees. Denn nun steigt der Weg steil und schweisstreibend, da der Sonne ausgesetzt, und in vielen Kehren nach Fionnay ab.

zum Wandervorschlag

Elsbeth Flüeler

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Wallis

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