Plötzlich war nicht mehr sicher, ob dieses Gipfelgespräch überhaupt stattfinden würde. Wenige Tage vor dem vereinbarten Datum blieben meine E-Mails auf einmal unbeantwortet. Erst als ich Reena Krishnaraja auf Instagram schrieb, kam postwendend Antwort. Glücklicherweise hatte sie die Wanderung bereits dick in ihrer Agenda stehen. Doch die kleine Episode machte deutlich: E-Mails sind nicht das am meisten genutzte Kommunikationstool der Generation Z, zu der auch die 22-jährige Reena zählt. Aber auch, dass es sich hier um eine vielbeschäftige junge Frau handelte. Dieser Eindruck sollte sich auf unserer Wanderung am Walensee noch bestätigen. Die ursprünglich geplante Route von Amden hinunter nach Quinten kürzte Reena zu einer Rundtour ab Weesen – ein Entscheid, der am Ende noch für Lacher sorgen sollte.
Frühlingshaft warm und sonnig ist es, als die Fotografin und ich uns mit Reena treffen, und wir alle ziehen schon nach wenigen Metern unsere Pullover und Sportjäckchen aus, während wir uns gemächlich den Hang hocharbeiten.
Reena, du kommst aus Appenzell Ausserrhoden und studierst in Bern Sozialwissenschaften. Warum treffen wir uns heute ausgerechnet hier am Walensee?
Weil ich Wanderungen an Seen ganz besonders mag und der Walensee für mich das ideale Gewässer ist: Er hat den Charakter eines Bergsees, weil er klar, türkisblau und am Nordufer wenig verbaut ist, und dennoch ist er in nur einer Stunde Fahrzeit von zu Hause schnell erreichbar. Ich war hier in der Nähe schon mal mit meiner Familie unterwegs.
Abgesehen vom See – was macht für dich eine gute Wanderung aus?
Sie sollte eine schöne Aussicht, aber gleichzeitig genug Schatten bieten, circa drei Stunden dauern, eher gemütlich sein und am besten mit einem Caramel-Coupe sowie einem Bad im See enden. Ich habe zwar keinen eindeutigen Männergeschmack, aber anscheinend einen klaren Wanderroutengeschmack.
Der Schatten ist eher spärlich – die Mittagssonne steht im Zenit –, Glacé und ein Bad im See scheinen weit weg. Wir erklimmen den historischen Treppenweg Chappeli-Port, der bis 1882 die Hauptverbindung nach Amden war, und erfreuen uns an den gelegentlichen Tiefblicken auf den aquamarinblau schimmernden See.
Wie bist du zum Wandern gekommen?
Da ich aus einem kleinen Dorf, Grub, in Appenzell Ausserrhoden komme, war im Prinzip jeder Schulweg ein Wanderweg. Aber so richtig mit Wandern begonnen habe ich erst während der Pandemie – so wie viele andere meiner Generation. Wir konnten ja sonst nichts machen.
Und hast du deine Wandermotivation beibehalten?
Leider habe ich nicht mehr so viel Zeit wie damals. Nun gehe ich noch etwa drei bis vier Mal pro Jahr wandern. Meistens im Alpstein, auf den Säntis. Das ist quasi unser Heimberg. Aber ich wandere nicht mit allen gleich gern – das Wandertempo muss stimmen. Am liebsten bin ich mit Menschen unterwegs, bei denen ich mich noch getraue, auszuatmen.
Wanderst du manchmal alleine?
Nein, ich glaube, das könnte ich nicht. Ich möchte das Erlebnis teilen – so wie heute mit euch. Aber ich habe den grössten Respekt vor Leuten, die es tun.
Du hast einen tamilischen Hintergrund, deine Eltern kommen aus Sri Lanka. Ist Wandern dort auch ein Thema?
In Sri Lanka wandern nur die Touristen, zusammen mit einem Guide. Die Einheimischen fragen sich eher: «Warum?» und stellen vermutlich den Sinn dahinter etwas infrage. Wandern ist ein Wohlstandsphänomen. Nur wer nicht schon den ganzen Tag harte körperliche Arbeit verrichten muss, geht freiwillig wandern. Zusätzlich besteht in Sri Lanka die Infrastruktur dafür gar nicht, also Wanderwege, die stetig gepflegt werden. Die Natur ist ganz eine andere als in der Schweiz: viel unwegsamer Dschungel mit Wildtieren und Sandstrände.
2022 hast du den SRF Best Talent Comedy Award gewonnen. Wie hat sich dein Leben seither verändert?
Das war der Startschuss meiner Laufbahn als Stand-up-Comedian. Ich denke, ich habe die Initialzündung richtig für mich genutzt und sie nicht verpuffen lassen. Seither habe ich bis zu drei Auftritte pro Woche und kann von meiner Kunst leben. Seit 2024 stehe ich zudem mit meinem Solo-Programm «Kurkuma» auf der Bühne und toure durch die Schweiz. Als Studentin habe ich das Glück, dass ich recht flexibel bin. Und es spielt keine Rolle, wenn ich am Ende zwei Semester länger studiere.
Kannst du dir vorstellen, mal nur noch Comedy zu machen?
Nein, ich denke, ich brauche immer noch etwas anderes nebenbei. Auch als Inspirationsquelle – die Abwechslung machts aus. Ich könnte mir gut vorstellen, mal Teilzeit in einer gemeinnützigen Organisation zu arbeiten und nebenbei weiterhin aufzutreten.
Wir gehen an einer Kuhweide entlang, und als wir kurz stehen bleiben, rennen die jungen Rinder freudig auf uns zu. «Es gibt doch nichts Lustigeres als rennende Kühe», konstatiert Reena. Sie ist eine feine Beobachterin ihrer Umwelt, hat ein Auge für die Komik des Alltäglichen und stellt genauso gerne Fragen, wie sie selbst welche beantwortet. Bestimmt ist es genau dieses Interesse an ihrem Umfeld, das für ihre Kunst so wichtig ist. Ab und zu macht sie sich eine Notiz, wenn wir über etwas sprechen, das sie vielleicht mal in einer Show verwenden kann.
Schliesslich setzen wir uns auf ein Bänkli und packen unsere mitgebrachten Sandwiches aus. Reena trinkt aus einer gigantischen Wasserflasche.
Wow.
Ja, gell – die fasst rund zwei Liter. Seit ich einmal auf einer Wanderung am Säntis zu wenig Wasser dabei hatte, nehme ich immer die mit. Aber ich bin generell jemand, der eher zu viel einpackt. Heute habe ich beispielsweise noch zwei Pullover, eine Regenjacke, kurze Hosen, ein Ersatzshirt und Socken dabei. Auch bei Auftritten nehme ich meist zu viel mit, weil ich Angst habe, es könnte zu wenig sein.
Ein letzter Blick auf den wie ein spitzer Zahn in den Himmel ragenden Mürtschenstock und die noch schneebedeckten Glarner Alpen zu seiner Linken und Rechten, bevor es auf einsamen Wegen weitergeht. Bald finden wir uns in der unerwartet idyllischen Schlucht des Fallenbachs wieder. Es scheint, als wolle die frühlingshafte Natur aus sich selbst ausbrechen – überall spriesst es grün und frisch. Der Fallenbach rieselt über geschliffene Felsstufen, gluckert in sanften Mulden, während an seinem Ufer Buschwindröschen ihre weissen Häupter recken und saftige Bärlauchspitzen aus dem Boden schiessen. «Ich habe das Gefühl, ich stehe auf dem Essen», kommentiert Reena in ihrer gewohnt verknappten, humoristischen Art, als wir zwischen dem Bärlauch stehen. Geduldig posiert sie fürs Foto – aber nicht, ohne ein paar Faxen zu machen und sich in die Pose einer strammen Wanderin zu werfen.
Schliesslich taucht der Weg aus der Schlucht auf und führt vorbei an einigen bescheidenen Häusern mit einer umso dekadenteren Aussicht. «Wer ein Haus am Walensee besitzt, hat es geschafft», meint Reena trocken.
Was bedeutet dir deine ländliche Heimat in Appenzell Ausserrhoden?
Viel. Abgesehen von meiner Familie und meinen Freunden liebe ich die Ruhe und die Gemütlichkeit, die dort herrschen. Ich bin ein Landei und könnte mir ein Leben mitten in der Grossstadt nicht vorstellen. Selbst meine WG in Bern befindet sich am Stadtrand.
Wir sind unterdessen ebenfalls an einem Rand angelangt – am Waldrand. Plötzlich tauchen weisse Sonnenschirme auf. Sie gehören zum Landgasthof Paradiesli. «Ich glaubs nicht! Genau hier war ich mit meiner Familie!», ruft Reena. Der Kreis schliesst sich. Kurzentschlossen kehren wir ein – schliesslich gehört zu einer idealen Wanderung auch ein Glacé, wie uns Reena zu Beginn erzählt hat. Zwar kein Caramel-Coupe, dafür ein Affogato.
Hast du noch eine bestimmte Wanderung auf deiner Bucket List?
Ja, ich lasse mich vor allem von Social Media inspirieren, da stosse ich immer wieder auf tolle Ziele. Eine Tour, die ich unbedingt noch machen möchte, befindet sich sogar hier am Walensee. Sie führt zu einem mehrstöckigen Wasserfall …

Imposante Seerenbachfälle
Den Startpunkt dieser Wanderung erreicht man, indem man als Erstes in einem kleinen Schiff von Murg übers Wasser des Walensees nach Quinten gleitet. Das Dorf ist sonst nur zu Fuss erreichbar und somit autofrei. Ungefähr drei Dutzend Einwohner zählt dieser Ort, der eingebettet zwischen Walensee und Churfirsten sogar etwas an skandinavische Fjorde erinnert. Durch seine Lage an der Sonnenseite weist Quinten aber auch ein südländisches Klima mit hoher Biodiversität auf. Dies ist ideal für den Rebbau. Nach einer knappen halben Stunde steigt der Wanderweg durch einen Mischwald in Richtung Fulenbach an. Zwischendurch lässt sich immer wieder einen Blick auf den tiefblauen Walensee erhaschen. Der Wanderweg ist in steiles Gelände gelegt und bei den heiklen Passagen – an einer Stelle sogar durch eine Galerie – gesichert. Die Wanderung wird dann auf leicht abfallendem Gelände fortgesetzt. Auf halbem Weg zu Betlis bietet sich die Gelegenheit zur Rast an einer schön gelegenen Feuerstelle. Gegen Seeren öffnet sich die Umgebung langsam und die Wandernden erreichen nach einem kleinen Aufstieg die Seerenbachfälle. Eindrücklich, wie das Wasser von einem der höchsten frei fallenden Wasserfälle der Welt stürzt. Alle drei Stufen des Wasserfalls messen zusammen nämlich fast 600 Meter. Auf dem weiteren Wegverlauf in Richtung Betlis lassen sich die Kaskaden noch besser beobachten. Nach dem Landgasthof Paradiesli gibt es einen erneuten Aufstieg über Schöpfsagg, an einem kleinen Stausee vorbei, zur Postautohaltestelle in der Kurve von Lehni.
Du meinst sicher die Seerenbachfälle. Da hätte die ursprünglich geplante Wanderung vorbeigeführt!
Nein, wirklich? Das gibt’s doch nicht!
Wir müssen alle lachen. Für diesen Abstecher reicht nun die Zeit nicht mehr, Reena muss zum Auftritt nach Luzern. Etwas schnelleren Schrittes legen wir den letzten Abschnitt nach Weesen dem See entlang zurück. Die Finger sind von den warmen Wanderstunden mittlerweile aufgeschwollen. «Das ist etwas, was ich am Wandern nicht mag: Wanderfinger!», sagt Reena und betrachtet ihre Hände. «Und fliegende Insekten.»
Zu unserer Linken glitzert das blaue Nass so verlockend, dass immerhin ein Fussbad zum Abschluss noch drin liegen muss – und somit hat diese Wanderung wider Erwarten fast alle Bedingungen einer perfekten Wanderung erfüllt.

Zur Person
Reena Krishnaraja tritt als Comedian an Kleinkunstveranstaltungen, Gala-Abenden oder Mitgliederversammlungen auf. Sie produziert zusammen mit Milan Milanski den Podcast «Verhängt» und schreibt mit ihrer besten Freundin Marta Ulreich eine Kolumne für «Die Ostschweiz». Aktuell tourt sie mit ihrem Soloprogramm «Kurkuma» durch die Schweiz. Nächster Auftritt: 5. Juni 2025, Kellerbühne St. Gallen.
reenakrishnaraja.ch